Kafkaeske Endlosschleife

    Die kafkaeske Endlosschleife
    oder: 2 Faktoren, um erstarrten Kundenservice Systeme zu besiegen
    oder: Erfahrungen bei „Mobilfunkvertragswechsel“

    phones

    Nein, dieser Beitrag wird nicht eine entnervte Tirade über den katastrophalen Kundenservice bei O2 und 1&1. Er könnte dies durchaus werden, doch nach Jahrzehntelangen Erfahrungen mit jeglicher Form von „Kundenbetreuung” in den USA, Deutschland und Frankreich bin ich sowohl routiniert, als auch gestählt. Schnoddrige Bemerkungen perlen an mir ab; ein zu leise gesprochenes „Guten Tag,“ wird mit einem fröhlichen „Könnten Sie bitte etwas lauter sprechen“ gekontert; ein „das geht nicht“ meistens mit einem „ach bitte, seien Sie doch so nett und schauen nochmal nach…“.

    die 3 Drachen

    Schon vor vielen Jahren habe ich mir selbst geschworen, mir meine Laune nicht durch Telefon-Service-Dienste zerstören zu lassen. Im Grunde genommen begann diese Einstellung schon viel früher, als ich in als 19-jähriger Zivildienstleistender, der sich mit Kellnern den bescheidenen „Sold“ aufbesserte, auf die „drei Drachen“ traf. Die drei Drachen wurden so genannt, weil sie es schafften, auch gestandenen Kellnerinnen die Tränen in die Augen zu bringen. Als Neuling wurde einem irgendwann deren Tisch zugeteilt und als besonders herausfordernde Reifeprüfung angesehen.
    Ich kellnerte in einem Ausflugslokal am Rhein in Krefeld. Es war ein typisches Fluss-Café mit großem Garten, dessen ca. 150 Plätze sich um 15:30h schlagartig füllten, da um die Zeit Ausflugsbusse „aus Holland“ kamen. Das Innere des Café-Restaurants war hingegen etwas ruhiger. Viele ältere Stammkunden, die zum Mittagessen, oder zum Kaffee kamen und am liebsten in einer etwas tiefer gelegenen Terrasse mit Blick auf den Rhein saßen, blieben von 12:30 bis maximal 14:30h – also hatten wir Kellner*innen ein bisschen Pause, bevor die Kaffee-Gäste kamen. Als erste tauchten meistens die „3 Drachen“ auf. Sie waren ältere Damen mit Haaren auf den Zähnen. Sie waren ca. um die 70 Jahre alt, gut gekleidet und hatten ein generelles Gehabe, das man in Berlin heute immer noch gelegentlich bei neureichen Russen beim Einkauf auf dem Ku´damm antrifft. Zielsicher bewegten sie sich auf ihren reservierten Stamm-Tisch zu, der an der Brüstung lag und die beste Übersicht über den ganzen Innenraum bot, so dass es ein leichtes war, jede Person genau zu mustern und mit Kommentaren zu zerpflücken.
    Am schlimmsten jedoch war ihr Talent, jegliche Person, die mit Ihnen in Kontakt kam, systematisch runter zu machen. Ein Zusammenspiel von Bemerkungen, Klagen, Andeutungen, Beschwerden, Zurückweisungen und Ignoranz. Jede der Damen versuchte dabei, Ihre Mitstreiterinnen zu übertreffen. Niemals konnte Ihnen irgend etwas recht gemacht werden, dabei bestellten sie grundsätzlich das gleiche. In Zeiten, als noch „ein Kännchen Kaffee“ die einzige Option auf der Karte war – auf Nachfrage ersetzt durch „Kaffee Haag“ (entkoffeiniert) – waren die Variationen der Damen die unterschiedliche Kuchenauswahl – und selbstredend ob mit oder ohne Sahne. Natürlich musste der Kellner schon bei der ersten Begegnung unbedingt genau wissen, welche Dame welchen Kuchen bestellt hatte, denn ansonsten waren hochnäsige Beleidigungen („na, wo hat der denn bloß gelernt?“; „Kellnern ist vielleicht auch zu schwierig für ihn“) die unweigerliche Folge.

    Da ich gewarnt worden war, ging meine erste Begegnung mit den Drachen relativ glimpflich über die Bühne. Vielleicht hatten sie auch einen schlechten Tag – jedenfalls gelang es mir, meine direkte Freundlichkeit zu bewahren und auch die nächsten Sonntage eine gewisse Konversations-Routine aufzubauen, die über das sonst übliche Maß an distanzierter Grimmigkeit hinausging. Tatsächlich entwickelte sich eine Dynamik über die nächsten Monate, die sicherlich die Drachen selbst am meisten überraschte. Sie schienen mich „Jungen“ zu mögen und beschwerten sich lautstark über „meine unfähigen Kolleginnen“, wenn ich mal einen Sonntag frei genommen hatte.
    Und dann – nach einem guten Jahr geschah es tatsächlich, dass eine der Damen beim Bezahlen umständlich und leicht errötend Ihre Geldbörse aufmachte, die DM 8,- auf den Tisch legte und murmelte, „die 2 Groschen“ könnte ich behalten. Das konnten die anderen nicht auf sich sitzen lassen und taten ihr es ganz genau nach.

    Es war das erste Trinkgeld, dass sie jemals im Café gelassen hatten, obwohl sie bereits seit mindestens 6-8 Jahren zum Stammpublikum zählten. Nachdem sie gegangen waren, versammelte sich die ganze Belegschaft, inklusive des Küchenpersonals um mir zu gratulieren. Ich hätte das Unmögliche geschafft und die Drachen besiegt – mit Freundlichkeit geschlagen. Endlich hätten sie sich auf eine normale menschliche Ebene begeben und mit dem Trinkgeld ein offizielles Friedensangebot übermittelt – während andere meinten, sie hätten „verloren“ und damit ihre Niederlage eingestanden.
    Viele Kommentare und Bemerkungen fielen noch und es war allgemein ein sehr lustiger Moment, von dem noch lange die Rede war. Für mich ist jedoch am meisten hängen geblieben, dass es tatsächlich möglich ist, griesgrämigen Menschen, ihren Griesgram auszutreiben – mit ehrlicher Freundlichkeit.

    Freundlichkeit – fast immer

    Natürlich klappt das nicht immer. Und als Warnung sei ausdrücklich gesagt: Freundlichkeit kann in Situationen und bei bestimmten Menschen und Gruppen kontraproduktiv sein. Der Bully im Büro braucht genauso ein ruhiges, aber klares und bestimmtes „Nein!“, wie der pöbelnde Neonazi in der U-Bahn. Hier hilft keine Freundlichkeit, sondern nur das schnelle Einbinden anderer Personen und der aktive Aufbau einer spontanen Solidaritätsgemeinschaft.

    Selbstbewusste Freundlichkeit hilft mir allerdings oft bei Kundenservice Gesprächen weiter – und das wollte ich ja eigentlich erzählen. 3 Tage lang hatte ich mich schon mit nicht verständlichen Fehlern bei der „Rufnummernmitahme“ von O2 zu 1&1 herumgeschlagen und es schien kein Ende in Sicht. Die Stimmen am anderen Ende der Telefonleitung verschwammen in einem Wirrwarr und die stetig gleichen Standardantworten entzogen mir meine Kraft.
    Wie einfach wäre es gewesen aufzugeben, weil „das System“ einfach stärker ist. Aber, nicht mit mir! In diesem Moment wähle ich Widerstand und setze eine Eigenschaft ein, die in einer digitalisierten Zukunft – in der künstliche Intelligenz und Roboter den Menschen viele Aufgaben abnehmen – immer wichtiger werden wird: Beharrlichkeit.

    Beharrlichkeit, das Menschliche zu finden

    Es ist die Beharrlichkeit, „den Menschen“ in Systemen zu suchen; wenn es angeblich „nicht geht, weil der Computer das so sagt“, wenn automatische Abläufe falsche Ergebnisse produzieren; wenn man 1 Minute über die Zeit einer Rückgabe ist und deswegen €5 mehr zahlen soll – in diesen Momenten bestehe ich aus Prinzip auf einer menschlichen Regung des Menschen, der mir gegenübersteht oder am andern Ende der Telefon-Leitung sitzt. Gottseidank sind wir doch noch keine Maschinen.

    Gute Kundendienstmitarbeiter*innen müssen durch Training und individuelle Entscheidungsfreiheit in die Lage versetzt werden, Ausnahmen von Routineabläufen zu erkennen. Zusätzlich brauchen sie die „tools“ (Möglichkeiten), einem Kunden entweder entgegenzukommen, oder eine Problem-Lösung in die Wege zu leiten.

    Es gibt Startups und junge Unternehmen, die dies verinnerlicht haben und bei denen der Service tatsächlich so funktioniert. Lobend erwähnen möchte ich aus eigener Erfahrung dabei (noch einmal) den Lieferservice Deliveroo und auch den Car sharing Dienst DriveNow – bei denen Anrufe freundlich und flexibel gemanagt wurden. (Nein, das ist keine bezahlte Werbung)

    do, what is right

    In dem Albtraum der 3 Tage war es für mich jedoch am Erstaunlichsten, dass die gekündigte Telefongesellschaft den wesentlich besseren Service bot. Ich war überrascht, mit welcher Souveränität (diesmal) Lösungen angeboten wurden. Obwohl der gekündigte Vertrag, den gestrigen Tag als Stichtag hatte, wurde die Rufnummer nicht abgestellt, sondern erst einmal um 8 Tage verlängert, damit es bei der Nummer nicht zu einer Unterbrechung kommt. Wenn es zu einer Situation kam, bei der die Regeln und Vorgaben ein Nein erforderten, blieben die Mitarbeiter*innen menschlich und verstanden die Ausnahme-Situation.

    Bei 1&1 hingegen traf ich zum größten Teil auf missmutige und brummelige Stimmen, die öfters Phrasen wiederholten im Sinne von „das ist halt so“, „das geht nicht anders“, „da können wir nichts machen“, etc.. Mit Routinesprüchen halte ich mir normalerweise solche Energien vom Hals. Ich flöte dann: „Vielen Dank für Ihre Mühe. Vielleicht gibt es ja doch irgendwie eine Möglichkeit, wie sie mir helfen können?“ oder ähnliche Sätze, die es der anderen Person schwermachen, ihren gemeinen Ton beizubehalten. Allgemein würde ich 1&1 jedoch sehr empfehlen, ihre Mitarbeiter*innen noch besser zu schulen. (Neu-!) Kunden die anrufen, wollen nicht das Gefühl haben, dass sie dem Kundenservice „lästig“ sind.
    Es gab Momente, da war ich fast so weit, den Neuvertrag direkt wieder zu kündigen, und doch direkt Vodafone (wegen dem D-Netz) zu beauftragen. Allerdings sollte meine Beharrlichkeit dann am Ende doch zu dem gewünschten Ergebnis führen.

    Kafkaeske Endlosschleife

    Nach 3 Tagen in einer Endlosschleife gab es einen Ausweg. Das System war besiegt. Die Routine: >>> … Einloggen im 1&1 control center – Antrag auf Rufnummernmitnahme ausfüllen & abschicken – E-Mail von 1&1, dass der alte Anbieter O2 das abgelehnt hat/ oder es nicht möglich sei – Anruf bei O2, die dies verneinen, weil die Nummer ja schon längst frei gegeben ist – Anruf bei 1&1, dass da ein Fehler vorliegen muss – Empfehlung noch mal einen Antrag zu stellen … <<< , diese Routine war durchbrochen worden.

    Vielleicht war es auch tatsächlich der Satz „Wir befinden uns in einer kafkaesken Endlosschleife.“, den ich an den Kundendienst von 1&1 geschickt hatte, der bewirkte, dass sich dort endlich „manuell“ um die Bearbeitung gekümmert wurde. Oder es lag auch daran, dass ich am 3. Tag auf jedes (!) E-Mail von 1&1 Kundenservice (und sie informieren viel – was eigentlich gut ist) mit dem exakt gleichen langen Bericht meines Albtraums antwortete. Jedenfalls läuft jetzt die Rufnummernmitnahme. Die Umstellung dauert und soll in einer Woche abgeschlossen sein. Wir werden sehen, ob das hoffentlich alles dann reibungslos geklappt hat.

    Ach ja, warum wir 2 Nummern gewechselt haben? Es lag an der schlechten Netzabdeckung des O2-Netzes und insbesondere auch an der Tatsache, dass wir „im Ausland“ (Frankreich, Schweiz, Niederlande, etc.) und manchmal auch im Inland aus unerfindlichen Gründen absolut keine (!) Datenverbindung hatten. Die unzähligen Anrufe beim Service und Besuche im O2-Shop … – aber das ist eine andere Geschichte.